Utopien und der Wörther See

Semantical Reloading einer posttouristischen Region

Margarete-Schütte-Lihotzky-Projektstipendium, 2013-14

Nachdem die Bahn 1863 den Wörthersee als neues Ferienziel erschloss, setzte eine massive Bautätigkeit und der Ausverkauf von Seegrund ein. Sichtbar hat der Tourismus heute den Zenit überschritten, zum Teil seine wirtschaftliche Relevanz verloren. Zugleich verschob sich die Nutzungsstruktur –Fremdenverkehrsimmobilien und freie Grundstücke wurden zu privaten Freizeitwohnsitzen. Anhand von sieben verschiedenen Utopien versucht das Projekt, die Potenziale des Wörthersee-Raumes neu zu überdenken.

#CritcalMattress #Float4rRights

„A rose is a rose is a rose“ (1) „Du bist die Rose vom Wörthersee“ (2)

Semantical Reloading einer posttouristischen Region- Utopien und der Wörthersee (3)

Der Wörthersee im Süden Österreichs erlebte ab Mitte des 19. Jahrhunderts seine erste Blüte: 1863 erschloss die Bahn dieses neue Ferienziel für vermögende Bewohner aus der Donaumonarchie. Massive Bautätigkeit setzte an Kärntens größtem und wärmstem See  ein, die Villen, Boots- und Landhäuser von Architekten wie Franz Baumgartner oder Josef Victor prägten das Bild der „Wörthersee-Architektur“. Nach dem ersten Weltkrieg setzte der Ausverkauf von Seegrund und landwirtschaftlichen Besitzungen ein. Ohne Planung wurden Ufergrundstücke verbaut und abgeschottet. Das größte Wachstum und Häuserzunahme fand von 1923 bis 34 und seit 1945 statt. Dabei beschrieb Rudolf Wurzer bereits 1949 in seinem Artikel „Über die bauliche Sanierung und Erweiterung der Seekurorte“ (4) die klaren Zielstellungen einer Kärntner Landesplanung: Notwendig sei die Trennung zwischen Kur-, Wohn- und landwirtschaftlicher Zonierung und die Bildung von Planungsgemeinschaften mit Sitz in der Bezirksstadt.

Sichtbar hat der Tourismus am Wörthersee heute den Zenit überschritten, in manchen Ufergemeinden sogar seine wirtschaftliche Relevanz verloren. Mit diesem Bedeutungsverlust als Destination schritt eine Verstädterung der einst ländlich geprägten Region einher. Zugleich verschob sich die Nutzungsstruktur – Fremdenverkehrsimmobilien und freie Grundstücke wurden zu privaten Freizeitwohnsitzen. Eine andere Industrie als den Tourismus besaßen die Ufergemeinden nach 1945 aber kaum. Kommen erschwerend die wirtschaftlichen und politischen Altlasten im Bundesland Kärnten hinzu.
Es gilt, die Potenziale dieses Raumes neu zu überdenken. Umso mehr, als ein tragfähiges, übergreifendes Leitbild für die Region fehlt. Ein solches ist für eine positive Entwicklung doch ganz entscheidend. Um einen Wörtherseeraum abseits vom Tourismus neu zu erfinden oder diesen Prozess überhaupt in Gang zu bringen, braucht es etwas, das die Diskussion anregt. Dazu eignen sich Utopien im Besonderen, positive wie negative. Verwirklichbare oder unverwirklichbare Ideen für die Nutzung des Raumes entstehen durch Szenarien. Diese propagieren „räumliche Setzungen“ und „neue Nutzungszugänge“. So abwegig, übertrieben und polemisch sie auch erscheinen mögen, bilden sie Anknüpfungspunkte an die Realität. Es muss in Szenerien überlegt werden, wohin der weitere Wildwuchs am Wörthersee aufgrund eines fehlenden Leitbildes und einer fehlenden Raumplanung gepaart mit der Käuflichkeit des Landschaftsraumes führen können. Und es muss mit dem eindimensionalen, stilisierten und verklärten Bild gebrochen werden. Die gängigen Klischees sind abgenutzt, die positiven wie die negativen.

Sportliche Utopie: Der Wörthersee der Bums (5)
Bums ordnen alles ihrem Sport unter, dafür leben sie in günstigen Quartieren und haben meist nur Gelegenheits-Jobs. Sie schätzen das Gelände und die stark ausgebaute Sport-Infrastruktur rund um den Wörthersee, Extrem-Bewerbe ziehen auch die Weltelite an. Immer mehr Tourismusbetriebe stellen sich auf die neue Situation ein. Trainingszentren bekommen international Zulauf, und die Bevölkerung ist motiviert, mehr Sport zu treiben. Weil man im Umfeld von Sport-Events und -Infrastruktur viel jobben kann, lassen sich immer mehr Sport-Fans im Wörthersee-Raum nieder. Diese setzen zudem kreatives Potenzial frei: neue Sportarten und Sportlabels entstehen, es bildet sich eine eigene sportkulturelle Praxis und eine Lokal-, Musik- und Clubszene heraus.

Städtische Utopie: Die Wörthercity
Die Wörtherseestadt entsteht durch Bezirksreform. Alle Ufergemeinden fusionieren. Die räumliche Vision ist fern des romantischen Wörthersee-Bildes: Der Raum ist verstädtert, entlang des Ufers hat sich eine Bandstadt gebildet. Die Grundlagen zur Planung wurden schon von Rudolf Wurzer im Entwurf für den Zentralraum für Kärnten in den 1970er-Jahren publiziert. (6) Die Wörthercity ist im Gegensatz zu Wurzer stärker verdichtet. Infrastruktur wird um den See verteilt. Es entsteht eine qualitativ hochwertige Gartenstadt mit dem See als zentralem Park. Private Motorboote gibt es fast keine, dafür öffentliche Elektroboot-Fähren und -Taxis. Entlang der Autobahn sind Gewerbezonen ausgewiesen, die Seelagen sukzessive nachverdichtet. Die bestehenden Hauptstraßen unterliegen einem Gentrifizierungs-Prozess. Gewisse örtliche Merkmale gehen durch die Urbanisierung nicht verloren, im Gegenteil, sie gehen in einem „Kiezbewusstsein“ auf.

Kritische Utopie: Gated Wörthersee
Es existieren noch viele Flächen am Ufer mit Entwicklungspotenzial. Es erscheint nachhaltiger und ökologischer, wenn diese nicht von vielen Touristen benutzt werden, sondern wohlhabenden Familien als Wohnsitz dienen. Das bindet eine kultivierte, liquide Bewohnerschaft  über Generationen an den Wörtherseeraum. Damit einher geht die Aufwertung der restlichen Infrastruktur. Dazu brauchen die Anwesen eine sicherheitsrelevante und soziale Freistellung. Grundstücke sollen - mit großzügigen Freiflächen dazwischen - aneinander angrenzen. Damit ist es möglich, Bausünden zurück zu bauen. Grundstücke werden eingefriedet, der Zugang wird weitläufig von privaten Security Firmen gemanagt, um unwillkommene Vermischungen zu vermeiden. Im Bereich Velden bildet sich ein Cluster von Millionären mit entsprechend exklusiver Infrastruktur. Diese Zone steht im Gegensatz zum sonst sehr introvertierten Leben der Anwesen mit eigener Zugangskontrolle.

Radikale Utopie: Wörthersee Kommunismus
Der Volkszorn richtet sich gegen die „Schnäppchenkäufe“ der Superreichen am Wörthersee und deren Aneignung der letzten freien Bereiche am Ufer. Die Privatisierung eines Strandbades hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Nur wenige Meter frei zugängliche Uferzonen sind übrig – und auch die letzten freien Grundstücke in zweiter Reihe – sind bald unzugänglich für die Allgemeinheit. Politischer Radikalismus hat in Kärnten oft Anhänger gefunden. Noch sitzt den Kärntnern der Schrecken der Blau-Orangen Ära im Nacken, aber gerade deswegen stößt eine aus einer ganz anderen Richtung kommende Bewegung auf Nährboden: Der See soll wieder der Allgemeingut werden. Die Wörthersee Kommunisten fordern in ihrem Manifest die „Eine Abwertung des Wörthersees“. Sie erreichen in allen Gemeinden bei den Kommunalwahlen viele Stimmen. Über Crowdfunding haben sie schon zwei Seegrundstücke mit Villenbestand ankaufen können. Diese werden vom harten Kern der Aktivisten bewohnt. Sie agieren gegen ihre reichen Nachbarn auch am Rande der Legalität, sind aber geschützt von Anwälten. Als willkommene Gäste werden Aktivisten einquartiert. Regelmäßig veranstalten die Wörtherseekommunisten alle Arten von Demonstrationen.

1) Gertrude Stein im Gedicht „Sacred Emily“, 1913 und in Geography and Plays, 1922. 
2) Filmmusik von Hans Lang, 1952.
3) Der Text ist ein Auszug des Forschungsprojektes: "Semantical Reloading der Wörthersee-Region oder Post-Tourismus: neue Chancen für eine teilweise abgetakelte Tourismusregion", gefördert im Jahr 2014 durch das Margarethe Schütte Lihotzki Projekt-Stipendium, Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, Concordiaplatz 2, A-1014 Wien
4) Rudolf Wurzer, „Die Entwicklung, Sanierung und Neuordnung der Seekurorte Kärntens“, in: Der Aufbau, Wien 1949, S. 357–406.
5) Bum -  aus dem Englischen, bedeutet: Gammler, Schnorrer, Faulenzer; als Bums werden Sport-fanatische Menschen bezeichnet, die zum Beispiel als Ski-Bums oder Bike-Bums, hauptsächlich in Nord-Amerika leben und nichts anderes tun, als ihre Sportart extrem auszuüben.
6) Rudolf Wurzer, „Zentralraum Kärnten, zentrale Orte und regionale Siedlungsstruktur um 1990“, in: Amt der Kärntner Landesregierung (Hrsg.), Raumordnung in Kärnten, Entwicklungsprogramm Kärntner Zentralraum, Band 7, Entwurf, Klagenfurt 1974.

* Dies ist ein Textauszug des Forschungsprojekts und wurde veröffentlicht in:
Re-Searching Utopia- When Imagination challenges Reality, TU Wien, Abteilung Wohnbau und Entwerfen – Cuno Brullmann (Hrsg.), Niggli Verlag, November 2014